Der 67 Jahre alte Autor hat seine Forschungsarbeiten in zahlreichen Büchern und Publikationen veröffentlicht. Er hat mit Zeitzeugen gesprochen, in Archiven und auf dem jüdischen Friedhof in Elmshorn recherchiert.
Mit Zeitzeugen gesprochen
Kirschninck, der Spurensucher: Er hat in Archiven geforscht, mit Zeitzeugen gesprochen, Freundschaften geschlossen. Eines hat ihn überrascht, nämlich die Freundlichkeit, die Zuvorkommenheit und die Zugewandheit der jüdischen Menschen, die sich nach dem Schrecken des Holocausts wieder eine Existenz in Deutschland aufgebaut haben. „Es ist ein Geschenk, dass diese Menschen wieder hier sind“, betont Kirschninck. Er erinnert sich an einen Besuch im Archiv der jüdischen Gemeinde in Hamburg. „Der Vorsitzende trug ein kurzes Hemd. Die eintätowierte Auschwitz-Nummer war zu sehen. Da schluckt man erst einmal.“
Der Elmshorner hatte in den 1970er Jahren in Hamburg Chemie und Geschichte auf Lehramt studiert. Später hat er dann aber 30 Jahre als Pharmareferent gearbeitet, weil es keine Lehrerstellen gab. Trotzdem wurde das Studium, seine Examensarbeit zur Initialzündung seiner Forschungsarbeit. Denn sein Professor wollte nicht noch eine Arbeit über Konzentrationslager lesen. „Gab es denn keine Juden in Elmshorn?“, fragte er rundheraus. Der damalige Student Kirschninck hatte keine Ahnung. Also fing er an zu recherchieren und hat bis heute nicht damit aufgehört. „Man findet immer wieder Puzzleteile, die sich zu einem Gesamtbild zusammenfügen“, beschreibt er seine Arbeit, die ganz schnell Suchtpotenzial entfaltet hatte.
Elmshorner Nachrichten 27.10.2021
Aus der Laudatio zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes
Harald Kirschninck hat sich seit vier Jahrzehnten herausragende Verdienste durch Erinnerungs- und Aufarbeitungsarbeit der Geschichte des Nationalsozialismus erworben. Er genießt einen hervorragenden Ruf als Experte für das "jüdische Leben und die Verfolgung der Juden in der NS-Zeit" in Elmshorn und Schleswig-Holstein und leistet einen unverzichtbaren Beitrag zur Versöhnung. Mit seinem fundierten Fachwissen baut er Brücken zwischen Vergangenheit und Gegenwart sowie zwischen Menschen unterschiedlichen Glaubens und unterschiedlicher Herkunft.
Über Jahrzehnte erforscht Harald Kirschninck akribisch die Geschichte der Juden und deren Angehörigen in Elmshorn. Zahlreiche Bücher und Aufsätze hat er zu diesem Thema verfasst, publiziert und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Aus ganz Deutschland nehmen viele Historikerinnen und Historiker sowie Universitäten - wenn es um die Geschichte des jüdischen Lebens in Norddeutschland geht - auf seine Forschungsergebnisse und Expertise Bezug. Harald Kirschninck hat maßgeblich dazu beigetragen, dass der jüdische Friedhof Elmshorns restauriert und eine Datenbank mit Übersetzungen der hebräischen Grabinschriften erstellt werden konnte. Für Interessierte bietet Harald Kirschninck auf dem Friedhof regelmäßig Führungen an. Um auch junge Menschen an die Geschichte der Juden heranzuführen, hält er Vorträge an Schulen.
Seinem intensiven Engagement ist es zu verdanken, dass in Amerika lebende Nachkommen Kontakt zur jüdischen Gemeinde Elmshorn aufgenommen und so Informationen über ihre Vorfahren erhalten haben. Darüber hinaus wirkt Harald Kirschninck im Arbeitskreis "Spurensuche im Kreis Pinneberg" mit. Er war maßgeblich an der Verlegung der Stolpersteine beteiligt, die an die frühere jüdische Bevölkerung erinnern. Außerdem ist die Dokumentation über das jüdische Leben im Elmshorner Industriemuseum seinem herausragenden Engagement geschuldet."
Schreiben der Staatskanzlei Ministerpräsidenten des Landes Schleswig-Holstein vom 7. April 2021
Elmshorn galt einst als „judenfrei“
Ein Blick in die Geschichte: Erste Juden ließen sich vermutlich 1685 in Elmshorn nieder / Gemeinde gründete sich 2003 neu
ORNAMENTE WIE DIESER DAVIDSTERN UND DER LÖWENKOPF (UNTEN) ÜBERSTANDEN IN DER WOHNUNG DEN VERLAUF DER ZEIT.
ELMSHORN Nach einem jahrelangen Dasein im Hinterhof bezieht die jüdische Gemeinde Elmshorn eine neue Synagoge. Am Sonntag, 28. Oktober, soll das Gebetshaus am Flamweg offiziell eingeweiht werden. Grund genug für unsere Zeitung, einen Blick in die Geschichte der Juden in Elmshorn zu werfen.
Die ersten Juden ließen sich vermutlich um 1685 in Elmshorn nieder. Die meisten Menschen jüdischen Glaubens lebten im Jahr 1838 an der Krückau. Damals wurden in dem Flecken 204 Juden gezählt, was ungefähr acht Prozent der Einwohnerzahl entspracht. Die Zahl sank wieder auf 100 (1924) und weiter auf 80 (1932); ein Jahr später waren es nur noch 56.
Die Nationalsozialisten brannten in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 während der Reichspogromnacht die Synagoge der jüdischen Gemeinde Elmshorn im Flamweg nieder. Sie stürmten in die Wohnhäuser jüdischer Bürger und schmissen Fenster jüdischer Geschäftsleute ein. Alle männlichen Juden, bis auf zwei Kranke, wurden in dieser Nacht abgeholt und ins Konzentrationslager Sachsenhausen bei Berlin transportiert.
Letztlich vernichtete das Hilter-Regime auch in Elmshorn das jüdische Leben komplett. Im Jahre 1940 wurden in Elmshorn nur noch acht Juden gezählt, von denen zwei den Nazi-Terror überlebten. Einer, Albert Hirsch, erhängte sich, zwei Schicksale sind ungeklärt und drei der letzten Elmshorner Juden wurden deportiert. Insgesamt brachten die Nazis 21 Elmshorner Juden in die Konzentrationslager. Am 22. November 1943 verließ die letzte Jüdin die Stadt, Elmshorn galt nach fast 260 Jahren des Neben- und Miteinanders im Nazi-Jargon als „judenfrei“.
Zwei der vor dem Terror aus Elmshorn geflohenen Juden, Rudy Oppenheim und Heinz Hirsch, sind heute die letzten noch lebenden Juden, der früheren jüdischen Gemeinde in Elmshorn. Beide wohnen in den Vereinigten Staaten von Amerika. Sie besuchten im Jahr 2000 gemeinsam ihre Geburtsstadt Elmshorn und die Gräber ihrer Ahnen auf dem jüdischen Friedhof an der Feldstraße.
Weitere Nachkommen der Familie Oppenheim haben gerade in jüngster Zeit Kontakte mit Vertretern der heutigen jüdischen Gemeinde geknüpft und ebenfalls Elmshorn besucht. Übrigens: Eine der nicht beim Brand zerstörten Thora-Rollen (handgeschriebene Bibeltexte) aus der Elmshorner Synagoge wird in einem Museum in New York verwahrt.
Die neue jüdische Gemeinde Elmshorn gründete sich am 8. November 2003, am 19. Mai 2006 feierten nach fast 70 Jahren rund 20 Mitglieder wieder einen Gottesdienst in eigenen Räumen in Elmshorn und zwar in den Gemeinderäumen Holstenstraße 19 (Hinterhof).
Die Gemeinde ist seitdem auf etwa 100 Mitglieder angewachsen. Sie weihten am 9. November 2010 den neu angelegten Synagogen-Gedenkplatz am Flamweg mit seinem Gedenkstein sowie Zitaten von jüdischen Dichtern auf beleuchteten Stahlstehlen ein.
Die Nazi-Diktatur überstanden hat der seit mehr als 300 Jahren existierende jüdische Friedhof an der Feldstraße nebst der dort 1906 gebauten Friedhofshalle. In der 1984 renovierten „Kapelle“ wird seit Mai 2001 mit einer kleinen Ausstellung die Geschichte der Juden in Elmshorn dargestellt. Gruppen können nach Anmeldung im Industriemuseum Elmshorn die Friedhofshalle und die rund 130 Grabsteine besichtigen. Die letzte Beerdigung fand dort 1939 statt.
Mit der Geschichte der Elmshorner Juden befassen sich auch zwei Bände in der Reihe „Beiträge zur Elmshorner Geschichte“ von Harald Kirschninck. Beide Bücher sind noch im örtlichen Handel sowie im Industriemuseum erhältlich.
Harald Kirschninck Carsten Petersen
Elmshorner Nachrichten vom 10.12.2012
Jüdischer Friedhof jetzt ein Denkmal
Landesamt erklärt die Anlage als eine der ältesten und schönsten ihrer Art in Schleswig-Holstein als besonders erhaltenswert
ELMSHORN Die Stadt Elmshorn hat ein neues Kulturdenkmal: Den 330 Jahre alten jüdischen Friedhof an der Feldstraße. Das Landesamt für Denkmalpflege in Kiel hat die Anlage in die Liste der besonders erhaltenswerten Zeugnisse der schleswig-holsteinischen Geschichte aufgenommen. Mehr noch: Der Verfall der Grabsteine soll gestoppt, der Friedhof insgesamt als denkmalgeschützte Fläche für die Nachwelt erhalten bleiben.
Als „den schönsten jüdischen Friedhof in Schleswig-Holstein“ hat Dr. Margita Meyer vom Fachreferat Gartendenkmalpflege im Landesdenkmalamt die Elmshorner Anlage bezeichnet – und entsprechend gehandelt. Denn: Der Zustand des Friedhofes, der genauso wie die 1906 erbaute Friedhofshalle den Nazi-Terror überstand, hat in den vergangenen Jahrzehnten stark gelitten. Es sind etliche Steine umgefallen, und es drohen eine Reihe weiterer Grabsteine wegen Bodenabsenkung umzustürzen.
Der Stein vom Grab der Familie Oppenheim, der beim Umstürzen in mehrere Teile zerbrach, bildete den Zündfunken für die jetzt anstehende, umfassende Restaurierung des Friedhofes, die sich aufgrund der Kosten wahrscheinlich über Jahre hinziehen wird. Vorerst ist lediglich das Oppenheim-Grab wieder hergestellt. Aber es werden eine Reihe weiterer Steine folgen. Darüber hinaus wird der Friedhof mit seinen Steinen kartografisch erfasst und katalogisiert.
Und noch etwas ist geplant: Die sogenannten Kohanim-Steine in der ersten Grabreihe nördlich der Friedhofshalle werden ergänzt. Diese Kohanim-Reihe stellt mit ihrer Vollständigkeit eine Besonderheit dar, die nur noch bei sehr wenigen und sehr alten Friedhöfen anzufinden ist. Nachkommen der Kohanim-Familien durften den jüdischen Friedhof nicht betreten. Von daher war es wichtig, dass die Gräber von außerhalb des Friedhofes zu sehen waren und deshalb lagen sie in der ersten Reihe direkt am Zaun.
Das Projekt kann nur mit Unterstützung vieler Kräfte verwirklicht werden. Alisa Fuhlbrügge, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Elmshorn, hatte bereits im Vorfeld unermüdlich dafür gesorgt, dass das Projekt überhaupt in Angriff genommen werden konnte. Finanzielle Unterstützung kam bislang vom Landesdenkmalamt, vom Kulturamt der Stadt Elmshorn, vom Elmshorner Steinmetzbetrieb Diercks, vom Lions-Club Elmshorn und einer Reihe weiterer Sponsoren. Das Industriemuseum Elmshorn und der Experte für die jüdische Geschichte an der Krückau, Harald Kirschninck, haben Unterlagen aus ihren Archiven zugesagt, und Wissenschaftler des Steinheim-Instituts lieferten wichtige Tipps. Harald Kirschninck Carsten Petersen
Elmshorner Nachrichten 6.1.2015
Kulturdenkmal wird restauriert
Die Instandsetzung des jüdischen Friedhofs in Elmshorn kostet schätzungsweise 85000 Euro / Spenden werden benötigt
ELMSHORN Der jüdische Friedhof in Elmshorn mit seiner 1906 erbauten kleinen Friedhofshalle gehört zu den wenigen jüdischen Erinnerungen an die Geschichte der Juden in Schleswig-Holstein. In seiner Abgeschlossenheit ist er ein einmaliges Zeugnis von der Existenz und dem Aufstieg der Gemeinde in Elmshorn. Das befand auch das Landesamt für Denkmalpflege in Kiel und ernannte den im Jahr 1685 eröffneten Friedhof an der Feldstraße zum Kulturdenkmal. Gleichzeitig erklärte das Amt, dass der Verfall der Grabsteine gestoppt und der Friedhof als denkmalgeschützte Fläche für die Nachwelt erhalten bleiben müsse.
„Im vergangenen Jahr wurde der Friedhof neu erfasst und der Zustand der Steine aufgenommen. Es zeigte sich dabei ein erheblicher Restaurationsbedarf“, sagt Harald Kirschninck, Experte für die jüdische Geschichte in Elmshorn. Etliche Steine sind umgefallen und müssen restauriert werden. Die Schätzungen der Gesamtkosten belaufen sich auf zirka 85 000 Euro. Trotz Fördergelder bleibt eine hohe Summe, die durch Spenden und Beiträge der jüdischen Gemeinde aufgebracht werden muss.
Als erste Maßnahme wurde der Grabstein der Familie Oppenheimer wieder hergestellt. Der Stein war beim Umfallen in mehrere Teile zerbrochen. Auch der Grabstein von Siegmund Stern wurde inzwischen restauriert. Im November vergangenen Jahres besuchte sein Sohn Heinz Stern in Begleitung seiner Enkelkinder Jessica und Jeffrey das Grab seines Vater.
„Vor einiger Zeit erhielt das Kulturamt Elmshorn eine Anfrage eines ehemaligen jüdischen Sohnes der Stadt bezüglich seiner Familie. Diese Anfrage wurde über die Jüdische Gemeinde an mich weitergeleitet. Ich nahm Kontakt zu Harry Stern auf und fand heraus, dass es sich bei diesem Herrn um Heinz Sally Stern, geboren am 11. Dezember 1922 handelte, dem es noch im Februar 1940 gelang, sich vor dem Holocaust zu retten und in die USA zu emigrieren“, erzählt Harald Kirschninck. Von neun Familienmitgliedern dieser Familie haben es fünf nicht geschafft. Sie wurden in den Konzentrationslagern ermordet.
Bei den Recherchen stellte Kirschninck zusammen mit Alisa Fuhlbrügge fest, dass der Grabstein seines Vaters Siegmund Stern umgefallen war. Dieser Stein wurde dann auf Kosten der Gemeinde wieder aufgestellt und Harry Stern zu seinem 93. Geburtstag geschenkt. „Als Herr Stern davon erfuhr, entschloss er sich spontan dazu, Elmshorn für einen Tag von New York aus mit seinem Sohn und zwei seiner fünf Enkelkinder zu besuchen“, so Kirschninck. pm/pe
Elmshorner Nachrichten 6.1.2016
Geschichten der Elmshorner Juden
ELMSHORN Ende des 19. Jahrhunderts zog es viele Menschen nach Amerika – in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Die Auswanderungswelle steuerte auf einen Höhepunkt zu. Mit dabei war die Elmshornerin Minna Lippstadt, älteste Tochter von Kallmann und Auguste Lippstadt. Minna, im August 1857 in Elmshorn geboren, verließ noch vor 1875 und heiratete 1877 den drei Jahre älteren Leopold Jonas.
Leopold Jonas betrieb eine Theaterkartenagentur in Manhattan. Aber im Alter von 60 Jahren wollte er noch einmal etwas Neues beginnen. Als 1913 der Woolworth Tower, mit 241,4 Meter Höhe bis dato das höchste Gebäude der Welt, eingeweiht wurde, hatte Jonas die zündende Idee. Er verkaufte seine Theaterkartenagentur und mietete den Turm des Woolworth-Gebäudes. Fortan bot er Touren auf die Aussichtplattform des Wolkenkratzers an – das Ticket kostete 50 Cent. Darauf schienen die New Yorker nur gewartet zu haben. Tausende nutzten die Gelegenheit, ihre Stadt von oben zu betrachten. Als 1930 das Chrysler Building eröffnet wurde, setzte er sein Erfolgsmodell fort.
Am 15. August 1930 schrieb der „Chicago Daily Tribune“: „Letzte Woche wurde ein neuer Höhepunkt erreicht, als 12 000 Personen einen halben Dollar bezahlten, um in einem Express-Aufzug 71 Stockwerke hoch auf die Aussichtsplattform des Chrysler Building zu fahren, um über New York zu blicken.“
Zu diesem Zeitpunkt war Minna Leopold bereits tot. Sie starb 1920. Das Paar hatte drei Kinder.
Dies ist nur eine kleine Geschichte, die Harald Kirschninck bei seinen Recherchen über das Leben der Familie von Kallmann Lippstadt entdeckte und jetzt unter anderen in einem Buch veröffentlichte (siehe Kasten unten). Die Grabsteine der Familie sind zwei von 153, die heute noch auf dem jüdischen Friedhof an der Feldstraße stehen.
Seit mehr als 30 Jahren beschäftigt sich Kirschninck mit der Geschichte der Elmshorner Juden und der Historie des jüdischen Friedhofs in der Feldstraße. Insbesondere die Geschichten hinter den Grabsteinen interessierten ihn. „Wer liegt hier, wo wurden sie geboren, wie war ihr Leben und was wurde aus den Eltern, Kindern und weiteren Generationen, das wollte ich wissen“, erzählt Kirschninck, im wirklichen Leben Heilpraktiker mit Praxen in Elmshorn und auf Norderney.
Bei seinen Recherchen ist er auf interessante Verknüpfungen von Elmshornern mit Persönlichkeiten der damaligen Zeit gestoßen. So gab es einen Elmshorner Juden, der mit Rosa Luxemburg zusammentraf, einen Tag bevor sie ermordet wurde. Aber auch Verbindungen zum CIA, dem deutschen Kaiser und der russischen Revolution konnte der Autor feststellen.
Weniger spektakulär, dafür aber sehr tragisch ist die Geschichte der Familie von Alexander Rosenberg, geboren 1858 in Lokstedt, gestorben 1927 in Elmshorn. Er war mit Amalie Fürstenberg verheiratet. Das Paar hatte zwei Söhne: Georg, geboren 1886, und Friedrich (Fritz), der kurz vor dem Ersten Weltkrieg zusammen mit seinem Cousin Hermann Rosenberg nach New York auswanderte.
Geschäftssinn lag in der Familie Rosenberg. Alexander Rosenberg eröffnete 1883 eine Papierhandlung am Markt, die später in die Kirchenstraße 4 verlegt wurde. Sein Sohn Georg übernahm das Geschäft und baute es zu einem Papiergroßhandel aus. Georg heiratete zweimal, von seiner ersten Frau wurde er 1920 geschieden, neun Jahre nach der Eheschließung. 1921 heiratete er die Witwe Irma Schmidt. Sie war Christin und brachte einen Sohn mit in die Ehe.
Georg Rosenberg zählte zu den Großverdienern dieser Zeit in Elmshorn. Doch Mitte der 1920er Jahre ging es mit den Geschäften zurück. Er geriet auf die schiefe Bahn und wurde sogar wegen Betruges zu zwei Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten und der unbarmherzigen Hetzjagd auf Juden wurden auch die Rosenbergs nicht verschont. Georg Rosenberg wurde am 19. Februar 1943 von Berlin nach Auschwitz-Birkenau deportiert und dort ermordet. Heute erinnert ein Stolperstein auf dem Gehweg vor dem Gebäude in der Kirchenstraße 4 an Georg Rosenberg.
Mit sehr viel Detailkenntnis beleuchtet Harald Kirschninck das Wirken von Georg Rosenberg, stellt die Kinder vor und beschreibt das Schicksal der Familie. Die hier angerissenen Lebensgeschichten der Familien Lippstadt und Rosenberg sind nur einige Teile aus den Kapiteln über das Leben der Familie. In seinem Buch stellt der Autor die Lebensgeschichten der von ihm porträtierten Familien sehr viel detaillierter dar. Marianne Meißner
Elmshorner Nachrichten 24.6.2017
Die Bücherrecherche und Spurensuche
Insgesamt 153 Grabsteine stehen heute noch auf dem 1740 Quadratmeter großen Friedhofsareal, auf dem von 1658 bis 1940 bestattet wurde. 232 Gräber konnte Harald Kirschninck an Hand von Aufzeichnungen lokalisieren, von 177 Bestatteten konnte er die Namen ermitteln. „Was können uns die Gräber erzählen? Biographien und Geschichten hinter den Grabsteinen des jüdischen Friedhofes in Elmshorn“ ist der Titel des umfangreichen, in zwei Bänden erschienenen Werkes, das jetzt vorliegt . Band 1 hat 681 Seiten und kostet 59,90 Euro, Band 2 hat 588 Seiten und kostet 49,90 Euro. Beide Bücher sind bei Book on Demand erschienen. Auf mehr als 1200 Seiten hat Kirschninck nicht nur ein umfangreiches Nachschlagewerk aller namentlich bekannter Personen erstellt, die auf dem jüdischen Friedhof bestattet wurden, sondern gewährt auch einen Blick auf das Leben der einzelnen Familien und Nachfahren und er erzählt von der Blütezeit der jüdischen Gemeinde in Elmshorn im 19. Jahrhundert. Eine besondere Herausforderung hatte der Autor bereits am Beginn seiner Recherchearbeiten zu bewältigen. „Bis Mitte des 19. Jahrhunderts war es üblich, dass die männlichen Juden den Vornamen des Vaters als Nachnamen verwandten. So trugen zum Beispiel Söhne von Mendel Philipp den Namen Philipp Mendel oder Moses Mendel. Deren Kinder wiederum konnten wieder Mendel Philipp oder zum Beispiel David Moses heißen. Bei Frauen kam die Schwierigkeit hinzu, dass sie nach der Heirat den Namen des Ehemanns trugen. Erst nach 1850 kamen feste Familiennamen auf“, erzählt Kirschninck. Kein leichtes Unterfangen, zumal es zu der Zeit üblich war, acht bis neun Kinder zu haben. „Dennoch ist es gelungen, die Spuren aufzunehmen und zu verfolgen. Damit stellen diese Bücher ein Zeugnis über einen geschlossenen Friedhof von über 232 Gräbern dar“, sagt der Autor weiter. Aktuell arbeitet er mit der jüdischen Gemeinde daran, die bekannten Gräber, die keinen Stein mehr besitzen, mit Namensschildern auszustatten. Seit 30 Jahren beschäftigt sich Kirschninck mit der Geschichte der jüdischen Gemeinde Elmshorn und hatte in der Vergangenheit schon mehrere Publikationen wie Bücher und Zeitungsaufsätze zum Thema veröffentlicht. Kirschninck studierte die Fächer Geschichte und Chemie. Nach dem II. Staatsexamen für das Höhe Lehramt an Gymnasien arbeitete er 25 Jahre als Pharmareferent, bevor er heute als Heilpraktiker in Elmshorn und auf Norderney tätig ist. pe
Elmshorn 24.6.2017
Dokumentation Harald Kirschninck erforschte die Familiengeschichten aller bekannten, auf dem jüdischen Friedhof bestatteten Familien
Leopold Jonas betrieb eine Theaterkartenagentur in Manhattan. Aber im Alter von 60 Jahren wollte er noch einmal etwas Neues beginnen. Als 1913 der Woolworth Tower, mit 241,4 Meter Höhe bis dato das höchste Gebäude der Welt, eingeweiht wurde, hatte Jonas die zündende Idee. Er verkaufte seine Theaterkartenagentur und mietete den Turm des Woolworth-Gebäudes. Fortan bot er Touren auf die Aussichtplattform des Wolkenkratzers an – das Ticket kostete 50 Cent. Darauf schienen die New Yorker nur gewartet zu haben. Tausende nutzten die Gelegenheit, ihre Stadt von oben zu betrachten. Als 1930 das Chrysler Building eröffnet wurde, setzte er sein Erfolgsmodell fort.
Am 15. August 1930 schrieb der „Chicago Daily Tribune“: „Letzte Woche wurde ein neuer Höhepunkt erreicht, als 12 000 Personen einen halben Dollar bezahlten, um in einem Express-Aufzug 71 Stockwerke hoch auf die Aussichtsplattform des Chrysler Building zu fahren, um über New York zu blicken.“
Zu diesem Zeitpunkt war Minna Leopold bereits tot. Sie starb 1920. Das Paar hatte drei Kinder.
Seit mehr als 30 Jahren beschäftigt sich Kirschninck mit der Geschichte der Elmshorner Juden und der Historie des jüdischen Friedhofs in der Feldstraße. Insbesondere die Geschichten hinter den Grabsteinen interessierten ihn. „Wer liegt hier, wo wurden sie geboren, wie war ihr Leben und was wurde aus den Eltern, Kindern und weiteren Generationen, das wollte ich wissen“, erzählt Kirschninck, im wirklichen Leben Heilpraktiker mit Praxen in Elmshorn und auf Norderney.
Bei seinen Recherchen ist er auf interessante Verknüpfungen von Elmshornern mit Persönlichkeiten der damaligen Zeit gestoßen. So gab es einen Elmshorner Juden, der mit Rosa Luxemburg zusammentraf, einen Tag bevor sie ermordet wurde. Aber auch Verbindungen zum CIA, dem deutschen Kaiser und der russischen Revolution konnte der Autor feststellen.
Weniger spektakulär, dafür aber sehr tragisch ist die Geschichte der Familie von Alexander Rosenberg, geboren 1858 in Lokstedt, gestorben 1927 in Elmshorn. Er war mit Amalie Fürstenberg verheiratet. Das Paar hatte zwei Söhne: Georg, geboren 1886, und Friedrich (Fritz), der kurz vor dem Ersten Weltkrieg zusammen mit seinem Cousin Hermann Rosenberg nach New York auswanderte.
Geschäftssinn lag in der Familie Rosenberg. Alexander Rosenberg eröffnete 1883 eine Papierhandlung am Markt, die später in die Kirchenstraße 4 verlegt wurde. Sein Sohn Georg übernahm das Geschäft und baute es zu einem Papiergroßhandel aus. Georg heiratete zweimal, von seiner ersten Frau wurde er 1920 geschieden, neun Jahre nach der Eheschließung. 1921 heiratete er die Witwe Irma Schmidt. Sie war Christin und brachte einen Sohn mit in die Ehe.
Georg Rosenberg zählte zu den Großverdienern dieser Zeit in Elmshorn. Doch Mitte der 1920er Jahre ging es mit den Geschäften zurück. Er geriet auf die schiefe Bahn und wurde sogar wegen Betruges zu zwei Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten und der unbarmherzigen Hetzjagd auf Juden wurden auch die Rosenbergs nicht verschont. Georg Rosenberg wurde am 19. Februar 1943 von Berlin nach Auschwitz-Birkenau deportiert und dort ermordet. Heute erinnert ein Stolperstein auf dem Gehweg vor dem Gebäude in der Kirchenstraße 4 an Georg Rosenberg.
Mit sehr viel Detailkenntnis beleuchtet Harald Kirschninck das Wirken von Georg Rosenberg, stellt die Kinder vor und beschreibt das Schicksal der Familie. Die hier angerissenen Lebensgeschichten der Familien Lippstadt und Rosenberg sind nur einige Teile aus den Kapiteln über das Leben der Familie. In seinem Buch stellt der Autor die Lebensgeschichten der von ihm porträtierten Familien sehr viel detaillierter dar.
porträtierten Familien sehr viel detaillierter dar.
Die Grabsteine der Eltern von Minna Lippstadt, die Elmshorn in Richtung New York verließ. Foto: Redaktion
Elmshorner Nachrichten 24.6.2017
Jüdisches Leben in Elmshorn
Überarbeitete Dokumentation in der Friedhofshalle wird am 5. Mai offiziell eröffnet / Führung über Friedhof
Christian Brameshuber. ELMSHORN Neun große Tafeln hängen an den Wänden der Friedhofshalle in der Feldstraße 42. Sie zeichnen ein Stück Geschichte nach, die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Elmshorn, die 1658 gegründet worden war. „Wir haben die Dokumentation überarbeitet und modernisiert“, sagt Harald Kirschninck. Der Autor ist ein Kenner der jüdischen Geschichte in Elmshorn, vor allem des Friedhofes.
6120 Euro wurden in die neue Ausstellung investiert. Geld, das unter anderem vom Förderverein des Industriemuseums gekommen ist. Museumspädagogin Karen Buchholz betreut die Öffnungszeiten in der Friedhofshalle und bietet Führungen über den Friedhof an. Die Dokumentation wird am Sonntag, 5. Mai, um 14 Uhr in der Feldstraße offiziell eröffnet. Anschließend wird eine Führung über den Friedhof angeboten. Halle und Friedhof sind bis 17 Uhr geöffnet.
Die neu gestaltete Dokumentation ist in drei Bereiche unterteilt. Zunächst wird über den Friedhof, die Synagoge als Zentrum des religiösen Lebens und die Jüdische Gemeinde in Elmshorn informiert. Auf zwei Tafeln wird dann die Verfolgung und Vernichtung der Juden unter NS-Terrorherrschaft nachgezeichnet. Der dritte Teil widmet sich dann vier Familiengeschichten. Lebenswege der Familien Mendel, Hirsch und Oppenheim. Es geht um Flucht, Deportation, unendliches Leid und Tod.
„Uns waren auch Frauenschicksale wichtig“, betont Buchholz mit verweis auf die letzte Tafel mit dem Titel „Die Frauen der Familie Lippstadt. Kirschninck hat lange vor Ort geforscht und berichtet unter anderem von dem „Arier“ Oskar Lötje, der sich trotz größter Bedrängnis von Seiten der Nazis nicht von seiner jüdischen Frau Anna hat scheiden lassen. Die Jüdische Gemeinde in Elmshorn war 1941 nicht mehr existent. Im Jahr 2003 wurde sie neu gegründet.
Die kleine Friedhofshalle – sie war 1906 neu errichtet worden – und der Friedhof mit seinen 232 Gräbern und 153 Grabsteinen sind Zeugnisse der langen jüdischen Geschichte in Elmshorn. „Jüdische Friedhöfe haben Ewigkeitscharakter“, betont Kirschninck. Die Gräber müssten unangetastet bleiben. „Den Nazis ist es nicht gelungen, den Friedhof platt zu machen“, sagt der Experte. Alisa Fuhlbrügge von der Jüdischen Gemeinde Elmshorn wünscht sich noch zwei kleine Holzbänke für die Friedhofshalle. Fühlbrügge hatte sich seit 2015 für die Restaurierung der Gräber eingesetzt und innerhalb von 2,5 Jahren fast 100 000 Euro zusammenbekommen. „Jetzt stehen alle Steine stabil.“ Auch für die Finanzierung der Bänke in der Friedhofshalle hofft sie auf Spender. Wer etwas spenden möchte, kann sich unter Telefon (04121) 78 83 94 an die Jüdische Gemeinde in Elmshorn wenden.
Elmshorner Nachrichten 20.4.2019
25.03.2020
Harald Kirschninck und die Elmshorner Juden – eine Freundschaft fürs Leben
Mit zwölf Jahren bekam Harald Kirschninck das Buch „Exodus“ von Leon Uris in die Hände. Darin verarbeitet der Schriftsteller anhand von realitätsnahen Schicksalen die Gründung des Staates Israel und das jüdische Leid im Holocaust. Dieses Buch habe ihn nie wieder losgelassen, so Kirschninck. 43 Jahre später blickt er auf sein Lebenswerk zurück: Die Aufarbeitung jüdischen Lebens in Elmshorn. Dabei stieß er anfangs auf viel Gegenwind.
Harald Kirschninck ist Elmshorns Fachmann für jüdisches Leben in der Stadt. Elf Bücher und zahlreiche Aufsätze hat er zu diesem Thema und den vielen Einzelschicksalen verfasst, unter anderem in mehreren „Beiträgen zur Elmshorner Geschichte“. Er hat mit der Arbeitsgemeinschaft Stolpersteine für Elmshorn gearbeitet, klärt in Führungen über den Jüdischen Friedhof auf und besucht auf Anfrage Unterrichtsstunden in Schulen und arbeitet im Arbeitskreis „Spurensuche im Kreis Pinneberg“ mit.
Sein Professor schickte ihn nach Elmshorn
Den Grundstein für sein Lebenswerk legte Harald Kirschninck 1978/79 als Geschichts- und Chemiestudent in Hamburg. Auf Anregung seines Professors widmete er seine Examensarbeit den Elmshorner Juden – und nicht wie ursprünglich geplant den NS-Konzentrationslagern. Sein Mentor wollte einer weiteren Lektüre über dieses schon umfassend beschriebene Kapitel der Nazi-Diktatur entgehen, so der heute 65-Jährige.
Zunächst entdeckte der Student überhaupt keine Spuren in der Krückaustadt. Dann bekam er einen Tipp zum Jüdischen Friedhof an der Feldstraße und eine Liste mit Namen jüdischer Elmshorner*innen, die Christian Rostock aus dem Gedächtnis niedergeschrieben hatte. Rostock hatte 1938 die Fischlederfabrik des jüdischen Geschäftsmannes Otto Oppenheim gekauft und sie „arisiert“. „Das ist aber fair abgelaufen, sie blieben bis ans Ende ihres Lebens befreundet“, betont Kirschninck, der selbst eine enge Freundschaft zu Ottos Sohn Rudolf pflegte. Diesen lernte er über Christian Rostock kennen.
Telefonanruf begründete eine tiefe Freundschaft
Eine zweite enge Freundschaft bestand zu Heinz Hirsch. Dieser rief eines Tages im Konrad-Struve-Haus an, wo Harald Kirschninck gerade ehrenamtlichen Museumsdienst leistete. „Der Anrufer fragte mit amerikanischem Akzent, ob bei uns etwas über einen Herrn Hirsch vorliegen würde“, so Kirschninck. Er sei in Elmshorn zur Schule gegangen und aufgewachsen. Es folgten ein reger Briefwechsel und regelmäßige Besuche Kirschnincks in den USA, wo Heinz Hirsch es nach einem turbulenten Südamerika-Kapitel als Autohändler zum Millionär gebracht hatte.
Die Geschichte von Hirsch ist nur eine von vielen, die Kirschninck in seinen Büchern zutage fördert. „Das ist Detektivarbeit, die irre Spaß macht“, sagt der 65-Jährige. So rekonstruierte er das Leben der Elmshorner Jüdin und Zahnärztin Rita Baruch, die mit Lenins Stellvertreter in Deutschland liiert war und später auf persönlichen Befehl Stalins im Gefängnis hingerichtet wurde. Oder er fand einen Nachkommen eines Elmshorner Juden, der es bis zum Vize-Direktor der CIA gebracht hatte und als solcher in Südamerika mitmischte. Oder er belegte, dass ein Elmshorner Jude Mitbegründer des Londoner Kaufhauses Harrods war. „Das Ganze ist wie ein Mosaik“, sagt Kirschninck. Jedes Steinchen ergebe einen Teil des großen Bildes.
Reichsgraf Detlev stellt 1685 ersten Schutzbrief aus
Die ersten nachweisbaren Anfänge dieses Gesamtbildes jüdischen Lebens in Elmshorn liegen im Jahr 1685. Damals stellte Reichsgraf Detlev von Rantzau einen Schutzbrief aus, der es dem ersten Juden erlaubte, sich in der Stadt niederzulassen, einen Beruf auszuüben und einen Friedhof anzulegen. Ohne derartige spezielle Genehmigungen war Juden dies damals verboten. Graf Detlev verfolgte damit das Ziel, dem erfolgreichen Beispiel Glückstadts nachzueifern. Dort gründeten portugiesische Juden mit ausgezeichneten Handelsverbindungen in alle Welt eine reiche Gemeinde. In Elmshorn jedoch siedelten sich eher arme Juden an, die sich schon wenige Jahre später zahlreichen Schikanen seitens der Obrigkeit ausgesetzt sahen.
Denn 1727 geriet Elmshorn unter dänische Herrschaft und König Friedrich IV. erklärte, die Juden in der Stadt sollten „aussterben“. Nur, wer sich ein Haus kaufen oder bauen konnte, durfte bleiben. Das galt auch für die Kinder der jüdischen Familien, die schon mit 14 Jahren als erwachsen galten. Später erteilte der König den jüdischen Händlern durch ein Hausier- praktisch ein Berufsverbot. Erst als er merkte, dass die jüdische Gemeinde in der Folge ihre Abgaben nicht mehr zahlen konnte und ihm Einnahmen entgingen, vollzog er eine Kehrtwende und erteilte den Juden sogar ein Hausierprivileg. „Es ging nur ums Geld“, so Kirschninck.
Judenhass steigert sich zum Antisemitismus
Nach diesem Kapitel wuchs die Gemeinde. Doch erst 1869 wurden jüdische Bürger den christlichen komplett gleichgestellt. „Parallel dazu kam der Antisemitismus auf“, sagt Kirschninck. Im Unterschied zum Judenhass der Jahrhunderte zuvor bezog sich dieser auf die Rasse, nicht auf den Glauben. Hatte sich das Feindbild zuvor spätestens mit der Taufe erledigt, war ein Religionswechsel nun egal. Selbst wer zum christlichen Glauben wechselte, konnte seine jüdische Abstammung damit nicht ablegen. „Das ist ein großer Unterschied“, betont Kirschninck.
In Elmshorn seien die Juden gut integriert gewesen, zum Beispiel in den Sport- und Gesangsvereinen oder der Feuerwehr. Ohne sie und ihre Fabriken sei auch die Industrialisierung der Stadt so nicht denkbar gewesen, erklärt Kirschninck. Dennoch begann mit der Machtergreifung Hitlers auch an der Krückau der bewusst herbeigeführte Abstieg und Ruin jüdischer Familien. Ab 1938 wurden Elmshorner Juden in Konzentrations- und Vernichtungslager gebracht.
Absurde Konstrukte: Wer ist überhaupt Jude?
Dabei konnten die Nazis „gar nicht nachweisen, wer überhaupt Jude war“, so Kirschninck. Denn nicht alle waren aktive Gemeindemitglieder. Laut Volkszählung von 1933 seien es 56 in Elmshorn gewesen. Seine eigenen Recherchen hätten aber über 80 ergeben, so Kirschninck. Teils seien absurde Konstrukte herangezogen worden, bei denen schlicht die Vornamen der Eltern und Großeltern als Beweis für eine jüdische Abstammung herangezogen worden seien.
Den Holocaust haben von den über 80 Juden gerade einmal drei in der Stadt selbst überlebt. Anderen gelang rechtzeitig eine Ausreise oder sie überstanden das Grauen der Konzentrationslager. Viele wurden ermordet oder wie Heinz Hirschs Vater Albert Hirsch in den Selbstmord getrieben.
Neugründung der Gemeinde erst im Jahr 2003
Nach dem Krieg gab es keine jüdische Gemeinde mehr in Elmshorn. Erst 2003 belebten Auswanderer aus der ehemaligen Sowjetunion sie neu. Von den Mitgliedern vor dem Holocaust war kein einziges mehr dabei. „Ich war so etwas wie das geistige Archiv der Gemeinde“, sagt Kirschninck, der noch immer eng mit dieser zusammenarbeitet. Sein Interesse galt und gilt insbesondere dem Jüdischen Friedhof. Anhand der Namen auf den Grabsteinen hat er die vielen Einzelschicksale recherchiert, die ursprünglichen Standorte aller Steine und Gräber rekonstruiert, mit der Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Frau Fuhlbrügge die hebräischen Inschriften übersetzen lassen.
„Ich habe über 40 Jahre investiert“, sagt Harald Kirschninck. „Bis auf ein, zwei Themen, die ich noch genauer aufarbeiten will, habe ich alles recherchiert und beschrieben, was über die NS-Zeit und davor zu finden ist.“ Aktuell schreibt er an einem Buch über jüdische Bewohner*innen und Saisonarbeiter*innen auf Norderney.
Recherche ruft anonyme Anrufer auf den Plan
Anders als zu Beginn seines Lebenswerkes trifft er dabei heute kaum noch auf Widerstände. Als er seine ersten Sonderseiten für die Zeitung verfasste, war das noch anders. Er erhielt plötzlich viele anonyme Anrufe und der ehemalige NSDAP-Ortsgruppenleiter habe sich sicherheitshalber täglich am Schaukasten der Redaktion vergewissert, ob sein Name in den Texten auftaucht. „Es gab wenige Unterstützer, außer von jüdischer Seite. Es hieß immer: Müssen die alten Geschichten denn wieder aufgerissen werden?“, so Kirschninck. Beirren lassen hat er sich davon nie. Der Lohn ist ein komplett gefülltes Kapitel Elmshorner Geschichte, das seinesgleichen sucht.
Jüdisches Leben in Elmshorn – eine kurze Chronik
- 1685: Erster Schutzbrief des Grafen Detlev zu Rantzau für den Juden Berend Levi
- 1727: Elmshorn wird dänisch, König Friedrich IV. erlässt eine Verordnung, um die Zuwanderung von Juden zu begrenzen, später mussten sie ein eigenes Haus besitzen, um in der Stadt wohnen zu dürfen
- 1737: Hausierverbot für Juden
- 1744: Kehrtwende des Königs und Hausierprivileg für die Juden
- 1838: Mit 204 Juden erreicht die jüdische Gemeinde ihren zahlenmäßigen Höchststand in Elmshorn (acht Prozent der Stadtbevölkerung)
- 1824: Juden dürfen sich in die Zünfte einschreiben
- 1842: Abschaffung des Schutzgeldes; Einweihung der jüdischen Volks- und Grundschule in Elmshorn (1878 auf die Stadt übergegangen, 1892 geschlossen)
- Januar 1846: Einweihung der Elmshorner Synagoge im Flamweg
- 1863: Rechtliche Gleichstellung der Juden in Schleswig-Holstein (bis auf das passive Wahlrecht, was erst 1869 folgte)
- 1906: Einweihung der Kapelle auf dem jüdischen Friedhof
- Januar 1933: 86 Personen jüdischer Abstammung leben in Elmshorn, darunter 56 aktive Gemeindemitglieder
- 1. April 1933: Boykott jüdischer Geschäfte, Anwaltskanzleien und Arztpraxen (im ganzen Deutschen Reich)
- 1938: Alle jüdischen Geschäfte und Firmen werden „arisiert“, unter anderem die Firma Max Meyer, die Lederfabrik Otto Oppenheim und die Konservenfabrik Albert Hirsch
- 9. November 1938: Nationalsozialisten brennen die Synagoge im Flamweg nieder und verhaften in der Nacht alle jüdischen Männer Elmshorns über 18 Jahre
- 1940: Nur noch acht „Volljuden“ leben in der Stadt
- April 1941: Die jüdische Gemeinde Elmshorn wird formal aufgelöst
- 2003: Neugründung der jüdischen Gemeinde
25.03.2020 Autor/Autorin: Herr Hinz, Stadt Elmshorn
www.spurensuche-app.de
ELMSHORN Wie kann man Schülern und Lehrern die Geschichte des jüdischen Lebens in Elmshorn näherbringen? Diese Frage stellte sich Alisa Fuhlbrügge, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Elmshorn. Sie plante, zum Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ eine App zu entwickeln, und sprach Frank Ramson, Mitarbeiter des Amtes für Kinder, Jugend, Schule und Sport der Stadt Elmshorn, an, um um Mithilfe bei der Realisierung zu bitten. Ramson übernahm den ehrenamtlichen Posten gern. Ziel war es, eine App für Schüler und Lehrer, aber auch für andere Interessierte zu entwickeln, die auf möglichst unterhaltsame Weise und bei einfacher Bedienung einen Blick auf das jüdische Leben in Elmshorn geben sollte.
„Spurensuche“ heißt die für Apple- und Android-Smartphones entwickelte App, die ab sofort kostenlos im Apple App-Store, Google Play-Store sowie im Internet aufs Smartphone geladen werden kann.
Neue App als Gemeinschaftsprojekt
An der rund einjährigen Entwicklung beteiligt war außerdem Imke Stotz, die die Ilustrationen übernahm. Annkatrin Holbach, Mirjam Kull, Alisa Fuhlbrügge und Harald Kirschninck steuerten Texte bei, die technische Umsetzung übernahm das Unternehmen devrocks aus Kölln-Reisiek zusammen mit dem Unternehmen Best Cellar Design. Außerdem wurde eng mit dem Stadtarchiv zusammengearbeitet. Die musikalische Untermalung gestaltete der Musiklehrer Matthias Wichmann, der bei den Aufnahmen von Sophia Hühnert und Thorsten Mann unterstützt wurde. Schließlich wurden alle Texte von Frank Ramson eingelesen.
Auf drei Routen die
Geschichte erkunden. Und so funktioniert es: Nachdem die App aufs Handy geladen ist, mobile Daten und GPS aktiviert sind, kann es losgehen. Zur Auswahl stehen drei Routen: Auf Route 1 gehen die Schüler zu sieben Punkten und erfahren etwas über jüdisches Leben in Elmshorn. Erste Station ist die Nikolai-Kirche. Dort angekommen ploppen Informationen zum Bezug zur Jüdischen Gemeinde auf. Zusätzlich gibt es Hintergrundinformationen, die in einem Untermenü angeklickt werden können.
Auf der Route 2 werden die Schüler dazu animiert, sich auch im Stadtarchiv einmal für weitergehende Recherchen umzusehen.
Route 3 nimmt die App-Nutzer mit auf einen Rundgang durch die Synagoge. Abgerundet wird das Angebot mit einem eigenen Lexikon, in dem die verschiedenen hebräischen Begriffe erklärt werden.
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Elmshorner Nachrichten 6.9.2022
Nachwuchs für den Terrorstaat
Harald Kirschninck schreibt Buch über die Hitlerjugend in Elmshorn
WAS SUCHTEN JUGENDLICHE IN DER HITLER-JUGEND? DIESER FRAGE IST HARALD KIRSCHNINCK IN SEINEM NEUEN WERK „DIE FAHNE IST MEHR ALS DER TOD“ NACHGEGANGEN. ANN-KATHRIN JUST
nn-Kathrin Just
Welchen Einfluss die Hitler-Jugend in Elmshorn hatte, damit hat sich Chronist Harald Kirschninck befasst. Über die Thematik hat er zwei Bücher – insgesamt 900 Seiten – geschrieben. Erschienen sind sie im BoD Verlag. Die Bücher gehören zusammen und sind für 49,99 Euro erhältlich.
Kirschninck brachte in den letzten Jahren 11 Bücher über die Geschichte der Juden in Elmshorn heraus. 2020 erschienen zwei Bände über Juden auf Norderney. 2022 veröffentlichte er „Und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben“, eine Aufarbeitung der Geschichte der Norderneyer Hitler-Jugend.
Erste Erwähnung in Elmshorn 1931
„Die Fahne ist mehr als der Tod“ thematisiert nun die Elmshorner Hitler-Jugend. Was suchten Jugendliche in der Hitler-Jugend? Das wollte Kirschninck durch das Schreiben der zwei Bände recherchieren. „Kindern und Jugendlichen gefiel die Kameradschaft, die gemeinsamen Aktivitäten, der Sport. Die Ziele der Nationalsozialisten sahen aber anders aus“, sagt er. Das hätte die Zeile aus dem Hitler-Jugendlied beschrieben, nachdem er das Buch benannt hat: Die Fahne ist mehr als der Tod. „Das war das wahre Ziel der Nationalsozialisten“, sagt Kirschninck. Im Mai 1928 wurde die Hitler-Jugend in Elmshorn gegründet. „Nach der NSDAP-Chronik von 1935 soll im Mai 1928 die Elmshorner Hitler-Jugend durch den Blockmacher Helmuth Gerson gegründet worden sein.“ Anfangs war es eine kleine Gruppe. „Die Polizei in Elmshorn hat geschlafen“, sagt Kirschninck. 1930 hätte es geheißen, es gebe keine Hitler-Jugend in Elmshorn. Die erste Erwähnung stand am 16. Juni 1931 in den Elmshorner Nachrichten, führt er aus. Wenige Jahre später, 1934, gibt die Zeitung eine Sonderseite heraus. „Neben politischen Aufsätzen wurden hier Gedichte und Lieder veröffentlicht.“
Schon früh habe sich verdeutlicht, dass Jungs Soldaten und Mädchen umsorgende Mütter werden sollten. „Der einzelne Jugendliche galt nichts, über allem stand das Land und die Fahne“, erläutert Kirschninck. Die Organisation wurde neben dem Elternhaus und der Schule zur dritten Säule in der Erziehung. „Schon bald überstieg dieser Einfluss aber die anderen Säulen. Lehrer kuschten vor der Hitler-Jugend, Eltern hatten nichts mehr zu melden.“ Kinder und Jugendliche seien in der Gruppierung verwöhnt worden, gerade aus ärmeren Verhältnissen sei das verlockend gewesen. „Jugend führte Jugend, egal ob Volksschule oder Gymnasium“. Hitler habe die Jugend als Zukunft erkannt, so Kirschninck. Das hätte funktioniert. „Der Zulauf wurde größer.“
Niemand konnte sich entziehen
Zu Beginn sei die Hitler-Jugend noch ein freiwilliger Bund gewesen. „Der später zu einer Zwangsorganisation wurde, der sich niemand mehr entziehen konnte“, sagt Kirschninck. Das Buch zeigt die Entwicklung dieser Organisation auf. Als Quelle hat Kirschninck Artikel der Elmshorner Nachrichten und der Norderneyer Badezeitung genutzt.
Elmshorner Nachrichten 29.4.2023